Empowerment

Diskriminierungserfahrungen können unterschiedliche körperliche und/oder psychologische Nachwirkungen bei Betroffenen hinterlassen, die manchmal erst später auftreten, wie Schlafstörungen, Selbstzweifel bis hin zu gesundheitlichen Problemen. In unseren Empowerment Workshops können sich Menschen die Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen machen über Erfahrungen von Ausschluss, Benachteiligung und Herabsetzung austauschen und reflektieren, ohne dass sie oder ihre Erfahrungen in Frage gestellt werden.

Der Prozess der Selbststärkung, der bei jedem Menschen unterschiedlich verlaufen kann, soll u.a. dazu führen, dass sich Menschen der eigenen Stärken und Fähigkeiten (wieder) bewusst werden, sie ein positive(re)s Selbstverständnis entwickeln, und dadurch ihr Selbstvertrauen gestärkt wird.

Über den Austausch hinaus geht es im zweiten Schritt um die Reflektion und Einbettung dieser Erfahrungen vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Abgerundet werden die Workshops mit einem handlungsorientierten Teil, bei dem vorhandene Strategien im Umgang mit Diskriminierung (gemeinsam) erweitert bzw. neue erarbeitet werden. Das kann auch bedeuten, dass Teilnehmende zusätzlich über ihre Rechte informiert werden, z.B. über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Tipps zum Weiterlesen

Interview mit Pasquale Virginie Rotter

Empowerment- & Diversity Trainerin, Moderatorin

Was ist Empowerment für dich?

Für mich persönlich ist Empowerment die Entscheidung für Aufmerksamkeit und die Entscheidung dafür, im Moment zu sein. Rassismus ist – wie andere Unterdrückungserfahrungen, die sich an Deiner Menschenwürde abarbeiten – eine traumatische Erfahrung, die sich immer wieder wiederholt. Auch dann, wenn ich gerade nicht in einer rassistischen Situation bin. Es kann passieren, dass wenn ich lese, dass ein Bruder von mir körperlich rassistisch attackiert wurde, ich das am ganzen Körper spüre, gerade so als hätte ich es selbst erfahren. Ich spüre vielleicht nicht die blauen Flecken, doch ich spüre den Schock im Körper. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung bekommt der Ausspruch „Touch one, touch all“ eine ganz neue Bedeutung. Ich habe für mich erfahren, dass die Entscheidung dafür, wirklich im Moment zu sein und zu spüren, was die Gewalterfahrung – ob mittelbar oder unmittelbar - gerade mit mir macht, mich im Ergebnis am meisten stärkt. In der Situation selbst, ermöglicht das mir, alte Reaktionsmuster zu transformieren, in der Phase der Bewältigung und Heilung, die Form der Bewältigung zu transformieren, die Wiederholung zu unterbrechen, aus der Dynamik auszusteigen und damit Heilung zu ermöglichen. Weil ich einfach den Empfindungen die da sind (Wut, Trauer, Ohnmacht, Fassungslosigkeit, Angst etc.) den Raum gebe. Denn sie sind sowieso da! Diese Entscheidung für den Moment hat weitreichende Folgen. Wie bell hooks gesagt hat, ist „choosing wellness (…) an act of political resistance“. Dabei geht es mir vor allem um den Aspekt der Entscheidung: im Moment zu entscheiden was ich brauche, was ich will und was ich nicht will. Ob „Wellness“, Abgrenzung, Schweigen, Sprechen, Lachen, Kontakt aufnehmen, Kontakt abbrechen, mir Hilfe holen, mich einigeln, rausgehen, eine Initiative starten, mich ablenken, mich inspirieren lassen, mich nähren etc. Was auch immer es braucht um mich dafür zu entscheiden, das wiederholte Opfer-Sein zu unterbrechen. Paulo Freire hat einmal gesagt: „Die Unterdrücker, die Kraft ihrer Macht unterdrücken, ausbeuten und rauben, können in dieser Macht nicht die Kraft finden, die Unterdrückten oder sich selbst zu befreien. Nur die Macht, die der Schwäche der Unterdrückten entspringt, wird so stark sein, beide zu befreien.“ In der Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, steckt also unsere Macht. Und in der Möglichkeit „to choose to be present“ steckt noch mehr Macht. Empowerment hat also für mich ganz viel mit einer klaren Intention zu tun. Und wenn viele klare Intentionen zusammen kommen und miteinander in Kontakt treten, dann...the power is our's!

Wie und wann hast du für dich entschieden Empowerment-Trainerin werden zu wollen?

Als ich 20 war hab' ich gesagt: „Mit 30 bin ich Coach.“ Vielleicht war das ja die erste Entscheidung in Richtung Empowerment? Tatsächlich habe ich nie bewusst die Entscheidung getroffen als Empowerment-Trainerin zu arbeiten, es kam auf mich zu. 2010 hat mich Nuran gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, gemeinsam mit Sebastian Fleary den jährlichen Empowerment-Workshop zu leiten. Rückblickend war das für mich wie ein Ritter_innen-Schlag und das Vertrauen, das in mich gesetzt wurde, war umwerfend, die Unterstützung großartig! Nach meinem eigenen Empowerment-Workshop habe ich auch nach und nach mehr Menschen in Berlin kennen gelernt, die Empowerment-Arbeit machen: wie bspw. die Aktivistin und Herausgeberin Sharon Dodua Otoo oder auch die Trainerin ManuEla Ritz. Sie alle haben mich sehr inspiriert.

Wie würdest du ein Empowerment-Training beim ADNB beschreiben? Wie ist es aufgebaut? Wie lang dauert so ein Training?

Das besondere an den Empowerment-Trainings des ANDB ist, dass sie zweiteilig sind, es handelt sich also um zwei Teile à zwei bis drei Tage. Das ist bundesweit einzigartig! So werden nämlich die Teilnehmenden viel nachhaltiger und intensiver bei ihrem Prozess begleitet, als das bei einem Wochenend-Workshop möglich ist. Beim zweiten Modul geht mir jedes Mal das Herz auf, wenn ich beobachten darf, wie freudig die Teilnehmenden sich begrüßen. Ich weiß, dass aus Empowerment-Trainings schon einige Freundschaften fürs Leben geschaffen wurden. Im ersten Modul werden die Grundlagen geschaffen: die Erfahrung von Rassismus zu artikulieren und einordnen zu können. „Ja, das ist Rassismus“ sagen zu können, ist alleine schon empowernd! Basis dessen ist eine tiefgehende Biografiearbeit, die es den Teilnehmenden ermöglicht, Geschichten von Migration, Rassismus, Widerstand und schon erlebten Empowerment-Momenten zu teilen. Weiterhin bieten wir als Trainer_innen, Kontext-, Fach- und Erfahrungswissens, theoretische Grundlagen bis selbst erfahrenes Empowerment, aus denen sich die Teilnehmenden das nehmen können, was sie gerade in ihrem eigenen Prozess als unterstützend erleben. Im zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Handlungsstrategien mittels unterschiedlicher theater- und bewegungspädagogischer Methoden. Also tatsächlich die Erprobung von Handeln in ganz konkreten Situationen. Gleichwohl die ADNB-Trainings natürlich einem fundierten Konzept folgen, arbeiten wir sehr prozessorientiert und orientieren und daran, wo die Gruppe und die Einzelnen in der Gruppe gerade stehen und wo ihre Bedürfnisse liegen.

Welche Kritik und welche "Erfolge" gab/gibt es in deiner Arbeit als Empowerment Trainerin?

Zuerst die Erfolge: für mich persönlich ist es schon ein „Erfolg“, wenn ich mitkriege, wie Menschen zum ersten Mal die besondere Erfahrung machen, einen Empowerment-Raum zu betreten und zu beobachten, was das mit Ihnen macht. Wie viel Druck da abfällt, wie viel freier die Bewegungen werden, wie plötzlich Ressourcen wieder zugänglich sind, die in weiß dominierten Räumen sprichwörtlich unterdrückt werden! Das gilt natürlich nicht für jede Person gleichermaßen. Viele machen auch eine andere Erfahrung, sind erst einmal überwältigt oder eingeschüchtert. Doch für die Mehrheit (er-)öffnet sich etwas. Oder dieser Moment, in denen die Teilnehmenden erfahren: ich bin nicht allein mit dieser Erfahrung, andere verstehen genau, was ich erlebt habe, ich muss die Erfahrung auch nicht in Frage stellen oder an ihr zweifeln, sie wird auch von den anderen nicht in Frage gestellt, bagatellisiert oder relativiert und es ist vor allem nicht meine „Schuld“ (ich bin nicht zu empfindlich, ich habe nicht überreagiert etc.)

Die Teilnehmenden gehen mit ganz unterschiedlichen „Erfolgen“ aus einem Empowerment-Training hinaus. Je nachdem, was sie implizit oder explizit gesucht und erwartet haben. Die Einen haben das Gefühl, eine „Community“ gefunden zu haben, die Anderen wissen nun umso klarer, wie sie in bestimmten Kontexten, in denen sie bisher mit Rassismus konfrontiert waren, agieren möchten oder fühlen sich einfach „nur“ gestärkt für alles was Ihnen begegnet. Wieder anderen wird klar, dass sie - einfach ausgesprochen - ihren Fokus ändern möchten, weg von der Gewalterfahrung, hin zu Heilungsprozessen und dafür nach dem Workshop erste Schritte gehen möchten. Andere fühlen sich bereit für Kampf und Widerstand, Aktionen und ganz konkrete Projekte. Und diese ganzen verschiedenen „Erfolge“ schließen einander nicht einmal aus.

Ich bin sehr dankbar für das Feedback, dass ich von ehemaligen Teilnehmenden bekomme. Manchmal direkt nach dem Workshop. Manchmal Jahre später. Da werden Schleusen von Kreativität, Ausgeglichenheit, Wohlbefinden und Widerstand geöffnet, die vorher unvorstellbar waren. Zum Beispiel erfahre ich, dass ein Training für eine Person die Initialzündung war, endlich mit dem Schreiben zu beginnen und die eigene Perspektive öffentlich zu machen. Dann gibt es diese Momente im Workshop selbst, in denen zum Beispiel Tränen fließen, und es wird klar, das ist der einzige richtige Ort, wo diese Tränen fließen können. Oder ich bekomme mit, dass Teilnehmer_innen sich zusammen tun und ein Projekt umsetzen oder eine Aktion (gegen Rassismus, für Empowerment) machen und dass dies der Auftakt für ein kontinuierliches gesellschaftliches Engagement wird. Ich könnte ewig weiterschreiben. Was mich als Trainerin betrifft, sehe ich es als Erfolg, wenn ich mich von dem, was im Workshop passiert voll berühren lassen kann, zugleich als Ansprechpartnerin und diejenige, die Prozess, Gruppe und einzelne Menschen im Blick behält, ansprechbar bleibe, am Ende des Tages erfüllt, zufrieden und müde jedoch keinesfalls erschöpft bin und sich die Arbeit generell nicht wie Arbeit anfühlt. Da weiß ich, ich habe alles „gegeben“. Ein weiterer zentraler Erfolgsmoment ist, wenn es uns gelingt deutlich zu machen, dass Rassismus eigentlich nicht unser Problem ist. Es wird nur zu unserem Problem gemacht. Und so schmerz- und gewaltvoll das ist: wenn ich die Sache von diesem Blickwinkel aus betrachte, gelingt es mir besser, mich auf das zu fokussieren, was meinen Empowerment-Prozess stützt, nährt und weiterbringt. Es ist so befreiend zu erkennen, dass dieses Phänomen, dass unser Leben derart beeinflusst, gar nicht auf „unserem“ Mist gewachsen ist.

Eine Kritik, die mich zuletzt sehr beeindruckt hat war, dass durch den Bezug auf den Begriff „People of Color“ die spezifisch Schwarze Geschichte unsichtbar gemacht werden würde. Das hat mich sehr getroffen, denn es ist eigentlich klar, dass der größte Teil des Empowerment-Wissens auf Schwarzem Wissen beruht. Zugleich weist es allerdings auch darauf hin, dass es Erfahrungshorizonte von Rassismus und Unterdrückung gibt, die tatsächlich permanent Gefahr laufen, nicht die Anerkennung (sprich: Ressourcen) zu bekommen, die notwendig wäre. Rassismus hat so viele Gesichter, und wir alle spiegeln uns darin anders und verlieren ggf. die Nöte derjenigen, die auch von Rassismus betroffen sind – nur eben anders – aus dem Blick. Doch auch das ist ja ein rassismussystemimmanentes Problem, das auf der Logik „Teile und Herrsche“ basiert und die Hierarchisierungen von Menschengruppen als Spaltungen in die Communities trägt. Deshalb braucht es eine (Selbst-)Verantwortung oder besser Verpflichtung der Communities, die Interessen der Unterdrückten an meiner Seite, nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern sich im Zweifelsfall immer (!) für Vertrauen und Bündnisse zu entscheiden und gegen Misstrauen und Spaltung. Ein Empowerment-Training ermöglicht es, die Menschen neben mir wieder zu sehen, die Geschichten zu hören, Gemeinsames und Teilendes zu erfahren und sich auf Basis dessen, immer wieder aufs Neue für einen gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und eine gemeinsame Entscheidung für Wohlbefinden zusammen zu finden. Da sind schon kraftvolle und wirklich wirksame und empowerende Allianzen entstanden.

Dies ist die ungekürzte Version des Interviews mit Pasquale Virginie Rotter, veröffentlicht im Antidiskriminierungsreport 2011-2013, S. 28-29.

Sitemap