3 Jahre Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Beitrag von Alexander Klose, Jurist und Rechtssoziologe mit dem Schwerpunkt Antidiskriminierungsrecht

Das AGG: ein Gesetz im Dornröschenschlaf

Seit mehr als zwei Jahren sind Diskriminierungen in Deutschland weitgehend verboten. Ziel des am 18. August 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (kurz AGG) ist es, Benachteiligungen aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.[1] Doch nicht zuletzt zeigt der vorliegende Report, dass sich Diskriminierungen nicht einfach verbieten lassen. Das AGG kann sein Ziel nur erreichen, wenn Menschen, die benachteiligt worden sind, die Rechte, die ihnen das Gesetz gibt auch in Anspruch nehmen. Voraussetzung dafür ist es jedoch, seine Rechte zu kennen (vgl. zur Bekanntheit des AGG den Beitrag von Florencio Chicote im nächsten Kapitel). Dazu will dieses Kapitel einen Beitrag leisten.

Ich wurde diskriminiert – ein Fall für das AGG?

Was ist eine Benachteiligung?

Das AGG unterscheidet in § 3 verschiedene Formen der Benachteiligung. Es erfasst zunächst den „klassischen“ Fall der unmittelbaren Benachteiligung, d.h. wenn eine Person wegen eines vom AGG erfassten Merkmals eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Sie liegt z.B. vor, wenn der Türsteher einer Diskothek Menschen abweist, weil er sie für türkisch hält. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Türsteher offen diskriminiert („keine Türken“) oder einen anderen Grund (z.B. die „falschen“ Schuhe) vorschiebt. Es spielt auch keine Rolle, ob die Abgewiesenen tatsächlich türkische Staatsangehörige sind, oder der Türsteher dies nur (irrtümlich) angenommen hat.

Darüber hinaus gilt das AGG auch bei sog. mittelbaren Benachteiligungen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass auch dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren in ihren Auswirkungen zu einer Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität führen können. Dies lässt sich am Beispiel der Teilzeitbeschäftigung zeigen: Erhalten Teilzeitbeschäftigte einen geringeren Stundenlohn als Vollzeitkräfte, erscheint dies zwar ungerecht, ist jedoch – auf den ersten Blick – kein Fall für das AGG, da die Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nicht zu den geschützten Merkmalen gehört. Berücksichtigt man jedoch, dass Teilzeitbeschäftigte typischerweise Frauen sind, wird klar, dass die schlechtere Bezahlung von Teilzeitkräften im Ergebnis dazu führt, dass Männer einen höheren Stundenlohn erhalten als Frauen. Auch eine unterschiedliche Behandlung aufgrund vermeintlich neutraler Merkmale ist also erfasst, wenn sie sich benachteiligend auswirkt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Dies kann etwa bei den Anforderungen an die Sprachkenntnisse für eine berufliche Tätigkeit der Fall sein. Zwar ist das Merkmal Sprache nicht im AGG erwähnt, doch wirken sich Voraussetzungen wie „sehr gute“ oder gar „akzentfreie“ Deutschkenntnisse regelmäßig negativ auf die Einstellungschancen von Migrant_innen aus. Bestimmte Anforderungen können hier jedoch je nach Art der Beschäftigung (Spargelstecher_in – Anwält_in) gerechtfertigt sein. „Muttersprachliche“ Deutschkenntnisse dürften dagegen nur in den wenigsten Fällen erforderlich sein.

Ebenfalls als Benachteiligung gelten Belästigungen: Belästigungen****sind unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem vom AGG geschützten Merkmal in Zusammenhang stehen und bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betroffenen Person verletzt und ein feindliches Umfeld geschaffen wird. Zu denken ist hier z.B. an regelmäßige Anfeindungen und Beleidigungen eines Kollegen, der von der Belegschaft für homosexuell gehalten wird. Nur im Arbeitsleben werden **sexuelle Belästigungenerfasst, worunter u.a. unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen oder das unerwünschte Zeigen von pornographischen Darstellungen fallen, wenn damit eine Würdeverletzung bezweckt oder bewirkt wird.

Schließlich wird auch die Anweisung zu einer Benachteiligungals Benachteiligung gewertet: Kehren wir zurück zu unserem Türsteher. Ginge die diskriminierende Auswahl der Gäste auf eine Entscheidung der Betreiber_innen der Diskothek zurück, läge auch in deren Anweisung an den Türsteher eine Benachteiligung, unabhängig davon, ob sie von diesem letztlich ausgeführt wird.

Ist jede Benachteiligung verboten?

Liegt eine Benachteiligung im Sinne des AGG vor, stellt sich die Frage, ob sich diese während der Arbeit, auf der Suche nach einer Wohnung oder beim Einkaufen ereignet hat. Denn abhängig von **Lebensbereich****und Diskriminierungsmerkmal enthält das AGG eine Reihe von Ausnahmen und sog. Rechtfertigungsgründen, deren Vorliegen eine anderenfalls verbotene Benachteiligung zulässig macht.

Der umfassendste Schutz besteht im Bereich des Arbeitslebens****und gilt hier von der Bewerbung über die Einstellung, die Beförderung, die Arbeitsbedingungen (also z.B. die Höhe des Einkommens) bis zur Kündigung.[2] Darüber hinaus wird auch die „Vorbereitung“ auf eine Berufstätigkeit erfasst, also etwa die Bewerbung um eine Ausbildung oder ein Praktikum sowie die Berufsberatung. Über § 24 gelten die Benachteiligungsverbote des AGG auch für Beamt_innen, Richter_innen und Zivildienstleistende und Kriegsdienstverweigerer.

Im Bereich des Arbeitslebens kann eine unterschiedliche Behandlung aufgrund aller im AGG genannten Merkmale zulässig sein, wenn das Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungdarstellt (§ 8 AGG). Die strengen Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes werden nur selten gegeben sein. Neben den häufig genannten Rollenbesetzungen bei Schauspieler_innen kommen Tätigkeiten im Bereich der Interessenvertretung oder Beratung für bestimmte Gruppen (z.B. Frauen, Homosexuelle, Migrant_innen) in Betracht. Bei Ungleichbehandlungen aufgrund einer Behinderung ist zu beachten, dass Arbeitgeber_innen die (europarechtliche, im AGG bisher nicht umgesetzte) Pflicht haben, den Arbeitsplatz zunächst in zumutbarer Weise anzupassen. Gehbehinderte Arbeitnehmer_innen können also nicht mit Hinweis auf Barrieren auf dem Weg zum Arbeitsplatz abgelehnt werden, wenn diese einfach (z.B. durch eine Rampe) beseitigt werden können.

Für die Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen (z.B. Caritas oder Diakonie) oder durch Vereinigungen, die sich die Pflege einer Religion oder Weltanschauungzur Aufgabe gemacht haben (z.B. Koranschulen oder anthroposophische Schulen) enthält § 9 AGG Spezialregelungen: So wird für Ungleichbehandlungen wegen der Religion und Weltanschauung das Ethos der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft als Maßstab für die beruflichen Anforderungen nach § 8 anerkannt. Auch hier kommt es aber auf die Art der Tätigkeit an. [3] So wird eine Ungleichbehandlung bei Tätigkeiten, die die Verkündung oder Vermittlung des Glaubens oder der Weltanschauung zum Inhalt haben eher gerechtfertigt sein als bei einer Arbeit als Gärtner_in oder EDV- Mitarbeiter_in in der Gemeinde. Die genannten Organisationen können von den für sie arbeitenden Personen darüber hinaus verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig verhalten.

Über den strengen Rechtfertigungsgrund der wesentlichen und entscheidenden Anforderungen hinaus können Ungleichbehandlungen wegen des Altersauch dann zulässig sein, wenn sie objektiv und angemessen, durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (§ 10). Das Gesetz nennt beispielhaft verschiedene sozialpolitische Ziele, wie z.B. Integrationsmaßnahmen für jüngere oder ältere Arbeitnehmer_innen.

Auch außerhalb des Arbeitslebens beim Sozialschutz(z.B. Gesundheitsdiensten), bei sozialen Vergünstigungen (z.B. Sozialhilfe), bei der Bildung oder beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ist der Schutz vor Benachteiligungen nicht für alle Merkmale gleich. Er weist darüber hinaus Lücken auf: Zum einen schützt das AGG die Bürger_innen in diesen Lebensbereichen nur vor Diskriminierungen untereinander. Eine § 24 vergleichbare Regelung, die die Vorschriften des AGG auch auf das Verhältnis zwischen Bürger_innen und Staat anwendbar macht, fehlt. Gerade für Leistungen (und Diskriminierungen) in den Bereichen Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Bildung ist in Deutschland jedoch im Regelfall der Staat verantwortlich. Zum anderen gilt das Benachteiligungsverbot außerhalb des Arbeitslebens nicht für das Merkmal Weltanschauung.

Der intensivste Schutz besteht bei Diskriminierungen aus rassistischen Gründenoder wegen der ethnischen Herkunft. Hier werden neben privaten Verträgen mit Ärzt_innen und von Privaten angebotenen Bildungsleistungen (z.B. Sprach- oder Computerkurse) auch alle Verträge über Güter und Dienstleistungen erfasst, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (§ 19 Abs. 2). Damit wollte der Gesetzgeber alle Geschäfte erfassen, die öffentlich angeboten werde (z.B. Auslagen im Schaufenster, Anzeigen in Tageszeitungen oder im Internet). Ausgenommen sind neben familien- und erbrechtlichen Geschäften (z.B. Eheschließung, Scheidung, Testament) lediglich Verträge, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis begründet wird (§ 19 Abs. 4 und 5). Dies soll z.B. dann der Fall sein, wenn Vermieter_in und Mieter_in auf demselben Grundstück wohnen, wobei es auch hier auf die Umstände des Einzelfalls (Zweifamilienhaus – Hochhauskomplex) ankommen wird. Darüber hinaus sollen Ungleichbehandlungen aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft bei der Vermietung von Wohnraum auch dann zulässig sein, wenn damit „sozial stabile Bewohnerstrukturen“, „ausgewogene Siedlungsstrukturen“ sowie „ausgeglichene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Verhältnisse“ geschaffen oder erhalten werden (§ 19 Abs. 3). Ziel des Gesetzgebers war es, mit dieser Vorschrift, die Voraussetzungen für ein Zusammenleben der Kulturen ohne wechselseitige Ausgrenzung zu stärken. Gleichwohl ist die Vorschrift in der bestehenden Form kaum mit den europäischen Vorgaben zu vereinbaren.

Benachteiligungen außerhalb des Arbeitslebens wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Altersoder der sexuellen Identitätwerden dagegen vom AGG nur in den folgenden Fällen erfasst: Es muss sich entweder um Geschäfte handeln, bei denen das Ansehen der Person keine oder nur eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen abgeschlossen werden (sog. Massengeschäfte), oder um Versicherungsverträge handeln.

Die Voraussetzungen eines Massengeschäftswerden vor allem (aber nicht nur) im Einzelhandel (beim Einkauf im Supermarkt), in der Gastronomie (Restaurantbesuch) und im Transportgewerbe (z.B. bei Pauschalreiseverträgen) vorliegen. Zu unterscheiden ist wiederum bei Mietverträgen: Hier enthält § 19 Abs. 5 S. 3 die Vermutung, dass kein Massengeschäft vorliegt, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet. Auch Ungleichbehandlungen im Rahmen von Massengeschäften können ausnahmsweise zulässig sein. So ist das Benachteiligungsverbot nach § 20 Abs. 1 nicht verletzt, wenn für eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ein sachlicher Grund vorliegt. Als Beispiel nennt das AGG u.a. die Vermeidung von Gefahren (z.B. durch Altersgrenzen bei gefährlichen Sportarten), das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre (z.B. durch unterschiedliche Öffnungszeiten in Schwimmbädern für Männer und Frauen) und die Gewährung bestimmter Vorteile (z.B. Preisnachlässe für Schüler_innen und Studierende).

Ungleichbehandlungen bei Versicherungsverträgenkönnen schließlich nach § 20 Abs. 2 gerechtfertigt sein. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts zulässig, wenn dessen Berücksichtigung ein bestimmender Faktor bei der Risikobewertung ist und diese auf genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruht. Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen dagegen in keinem Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Ungleichbehandlungen wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität sind dagegen bereits möglich, wenn diese auf „anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation“ beruhen. Da es für entsprechende Prinzipien jedoch kein formelles Anerkennungsverfahren gibt, besteht ein weiter Spielraum mit der Folge, dass letztlich jeder nicht offensichtlich unsachgemäße Grundsatz zur Risikobewertung herangezogen werden kann.

Welche Rechte gibt mir das AGG?

Hat sich herausgestellt, dass die Benachteiligung vom AGG erfasst wird und kein Rechtfertigungsgrund greift, stellt sich die Frage nach den Rechten des Diskriminierten. Da eine Verfolgung und Bestrafung von „AGG-Sünder_innen“ durch den Staat nicht vorgesehen ist und der Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände enge Grenzen gesetzt sind (vgl. dazu den Beitrag Eva Maria Andrades im übernächsten Kapitel), kommt es für die Durchsetzung des AGG entscheidend auf das Tätigwerden der Diskriminierungsopfer an. Hier bietet das Gesetz – wiederum nach Lebensbereichen differenziert – unterschiedliche Möglichkeiten:

Im Arbeitslebensteht den Beschäftigten zunächst das Recht zu, sich bei einer von der/dem Arbeitgeber_in einzurichtenden Stelle zu beschweren. Die Beschwerdeist dann zu prüfen und dem/der Beschwerdeführer_in mitzuteilen (§ 13). Ergreift der/die Arbeitgeber_in keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen, um eine Belästigung oder sexuelle Belästigung zu unterbinden, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen. Bei der Wahrnehmung dieses Rechts ist jedoch Vorsicht geboten, da es unter dem Vorbehalt steht, dass die Leistungsverweigerung zum Schutz der Betroffenen „erforderlich“ ist, d.h. der Schutz nicht durch eine mildere, weniger einschneidende Reaktion erreicht werden kann (§ 14). Das Risiko einer Fehleinschätzung und damit einer Abmahnung oder gar Entlassung tragen damit die Arbeitnehmer_innen. Das AGG schließt den Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses ausdrücklich aus, eröffnet mit § 15 aber Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung.[4] Die Entschädigung, d.h. der Ausgleich für die erlittene Persönlichkeitsverletzung darf dabei drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Bewerber_in auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Daraus und aus den europarechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, kann gefolgert werden, dass die Entschädigung bei einer nur durch die Benachteiligung verhinderten Einstellung (deutlich) höher liegen muss. Schließlich ist auf das sog. Maßregelungsverbot hinzuweisen, wonach der oder die Arbeitgeber_in Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme ihrer Rechte benachteiligen darf (§ 16).[5]

Außerhalb des Arbeitslebensbeschränken sich die Reaktionsmöglichkeiten auf § 21: Auch hier bestehen Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung, darüber hinaus auf Beseitigung der Beeinträchtigung und Unterlassung. Ob sich daraus in bestimmten Fällen ein Anspruch auf Abschluss des verweigerten Geschäfts oder nur das Recht auf eine erneute diskriminierungsfreie Entscheidung ableiten lässt, ist bisher noch nicht abschließend geklärt.

Fest steht jedoch, dass sowohl Ansprüche aus § 15 als auch solche aus § 21 innerhalb von zwei Monaten(nach § 15 zudem schriftlich) geltend gemacht werden müssen. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist bei § 15 der Zugang der Ablehnung bzw. die Kenntnis von der Benachteiligung. Nach § 21 entscheidet der Zeitpunkt der Diskriminierung, wobei der Anspruch auch nach Fristablauf noch geltend gemacht werden kann, wenn der Betroffene von der (verdeckten) Diskriminierung erst später erfahren hat. Die Beratungspraxis zeigt, dass diese Fristen der Lebenswirklichkeit der betroffenen Personen häufig nicht entsprechen, so dass die Durchsetzung der Diskriminierungsverbote aus formalen Gründen scheitert.[6]

Schließlich ist auf die Regelung zur Beweislastin § 22 hinzuweisen: Die Vorschrift modifiziert die Grundregeln des deutschen Prozessrechts, wonach jede Partei, die Voraussetzungen der Normen, auf die sie sich beruft, zu beweisen hat. Da dies Diskriminierungsopfern im Hinblick auf die Frage, ob die Benachteiligung gerade wegeneines geschützten Merkmals erfolgt ist (und nicht aufgrund der schlechteren Qualifikation oder der falschen Schuhe), in aller Regel nicht möglich ist, enthält das AGG eine Beweiserleichterung. Danach hat derjenige, der sich auf eine Benachteiligung beruft lediglich „Indizien“ zu beweisen (z.B. das Ergebnis eines Testings, vgl. dazu den Beitrag von Serdar Yazar in Kapitel Beratung/Testing), die eine Benachteiligung wegen eines geschützten Merkmals vermuten lassen. Gelingt dies, „kippt“ die Beweislast und die andere Partei hat nun den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Sie muss entweder nachweisen, dass tatsächlich keine Ungleichbehandlung wegen eines geschützten Merkmals vorlag (z.B. also tatsächlich die Schuhe entscheidend waren) oder den Nachweis führen, dass die Ungleichbehandlung ausnahmsweise zulässig war.

  1. Das AGG dient der Umsetzung von vier europäischen Richtlinien und muss daher ihren Vorgaben entsprechen.

  2. Das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 523/07) hat am 6.11.2008 entschieden, das das Diskriminierungsverbot des AGG auch bei Kündigungen zu beachten ist. § 2 Abs. 4 AGG soll dem nicht entgegenstehen.

  3. Soweit § 9 eine Ungleichbehandlung auch dann für zulässig erklärt, wenn die Religion oder Weltanschauung ohne Ansehen der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung und ausschließlich aufgrund des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft eine berufliche Anforderung darstellt, geht dies über die europäischen Vorgaben hinaus. Darauf weist auch die Europäische Kommission in dem inzwischen gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren hin.

  4. Der Anspruch auf Schadensersatz wird sowohl in § 15 als auch in § 21 vom „Vertretenmüssen“ des Diskriminierenden abhängig gemacht. Ein solches Verschuldenserfordernis ist jedoch europarechtswidrig.

  5. Die Beschränkung des Maßregelungsverbots auf das Arbeitsleben widerspricht den europäischen Vorgaben.

  6. Auch die Europäische Kommission fordert eine Verlängerung der Frist auf mindestens drei Monate. Versteckte Diskriminierung beweisen!

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