Umfrage von Florencio Chicote (ADNB des TBB)
Noch bevor es überhaupt dazu kam, wurde das sog. Antidiskriminierungsgesetz, heute Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannt, bereits vor seiner Verabschiedung im Jahre 2006 als Bürokratiemonstrum dargestellt, das Arbeitsplätze in Gefahr bringt und zu einer Klageflut insbesondere auf Kosten der Wirtschaft führt. Keines dieser Szenarien hat sich nach 2 Jahren AGG bewahrheiten. Im Gegenteil. Unabhängige Antidiskriminierungsbüros und –stellen in der Bundesrepublik Deutschland beklagen, dass die von Diskriminierung Betroffenen nur wenig oder kaum Kenntnisse über dieses Gesetz haben und nur sehr zögerlich Gebrauch davon machen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, jedoch scheint der mangelnde Kenntnisstand über die Existenz eines solchen Gesetzes bzw. die Möglichkeiten, die es Betroffenen bietet, gegen die erlebte Diskriminierung vorzugehen, der wesentliche Grund und die hauptsächliche Barriere zu sein.
Kennen Berliner/innen mit Migrationshintergrund das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz? Wissen sie, wen es schützt und welche Rechte es garantiert? Wissen sie, wohin sie sich im Falle einer Diskriminierung für Unterstützung hinwenden können? Würden Berliner/innen mit Migrationshintergrund gerne mehr zum AGG und den mit dem Gesetz verbunden Rechten und Möglichkeiten erfahren?
Diese Fragen stellte von Februar bis Mai 2008 das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB (ADNB des TBB) mit der Unterstützung vieler Berliner Organisationen, Vereine und Beratungsstellen, um mehr über den Kenntnisstand zum Allg. Gleichbehandlungsgesetz unter Berliner/innen mit Migrationshintergrund zu erfahren. Die Ergebnisse der insgesamt 421 ausgewerteten, mehrsprachigen Fragebögen sind ernüchternd.
So gaben lediglich 48% der Befragten an, dass sie über die Existenz des AGG wissen und knapp 16 % fühlten sich über ihre Rechte ausreichend informiert.
Knapp über die Hälfte der Befragten kennt somit nicht das rechtliche Instrumentarium, um sich im Falle einer Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Und wie wenig umfassend der Kenntnisstand selbst bei denjenigen ist, die angeben, dass Ihnen das Gesetz bekannt ist, zeigen folgende Ergebnisse:
Knapp 16% der Befragten fühlen sich über die Rechte, die man aufgrund des AGG hat, ausreichend informiert. Ebenfalls knapp 16% der Befragten geben an zu wissen, wer genau durch dieses Gesetz geschützt wird. Und nur 25% der Befragten meinen zu wissen, an wen sie sich bei einer Diskriminierung wenden können.
Angesichts dieser Ergebnisse verwundert es kaum, dass insbesondere die Klagen vor den deutschen Gerichten zu Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft relativ selten sind. Das kaum vorhandene Wissen um das AGG als auch die meist biografisch erworbene erlebte Hilflosigkeit unter vielen Menschen mit Migrationshintergrund gegen die erlebte Diskriminierung erfolgreich vorzugehen, machen das Gesetz zunächst zu einem zahnlosen Tiger. Die Frage, wem ein Gesetz nutzt, das kaum zur Anwendung gebracht wird, scheint an dieser Stelle eine legitime Frage zu sein und es wundert angesichts der Ergebnisse kaum, dass es weder zu einer Klageflut noch zu einer Klagewelle kam. Doch wo Unrecht passiert, sollte dieses auch geahndet werden, unabhängig davon, ob sich dann eine Welle oder gar eine Flut abzeichnet.
Die weiteren Ergebnisse der Umfrage des ADNB des TBB machen jedoch auch Hoffnung, dass unter den potenziell Betroffenen das AGG als Instrument genutzt werden könnte, wenn das Wissen darüber entsprechend vorhanden wäre. So verwundert es kaum, dass 69% der insgesamt 421 Befragten angeben, dass sie gern mehr über das Gesetz erfahren würden. Diese Zahl bringt sehr deutlich zum Ausdruck, wie groß das Informationsbedürfnis tatsächlich ist. Denn erst durch Wissen und Informationen erweitert sich auch die Handlungsfähigkeit und damit die Chance, sich gegen erlebte Diskriminierungen zur Wehr zu setzen. Doch wer muss informieren und welche Wege sind zu bestreiten?
Die Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union, auf denen das AGG basiert, geben sehr deutlich vor: Deutschland ist verpflichtet ihre Bürger/innen in geeigneter Form über ihre Rechte im Falle einer Diskriminierung zu informieren.
Das Ziel des Gesetzes, das in §1 AGG formuliert wird, zeigt auch noch mal deutlich, wer von dem Gesetz insbesondere angesprochen werden soll, nämlich die (potenziell) Betroffenen. So besagt §1 AGG, dass Ziel des Gesetzes die Verhinderung und Beseitigung von Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist. Dieser präventive und intervenierende Aspekt des Gesetzes sollte ebenfalls in einer breit angelegten Kampagne enthalten sein.
So müssten präventiv insbesondere die Unternehmen und Gewerbetreibenden über die Pflichten und Verbote informiert werden. Vor allem aber müssen die (potenziell) Betroffenen selbst Kenntnisse erlangen über ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten und über die Fristen. Auch das AGG enthält praktische und rechtliche Hürden, die in der Praxis schnell zu Barrieren bei der Rechtsdurchsetzung werden können. Erst durch eine bundesweite Medienkampagne, die den Interventionsaspekt des AGG und das Empowerment der Betroffenen zum Kernstück nimmt, wird der europäischen Verpflichtung nachgekommen und es wird ein Stück mehr Antidiskriminierungskultur geschaffen.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist gut beraten, diese Kampagne als prioritäre Aufgabe zu betrachten und dazu beizutragen, dass Betroffene von dem Instrumentarium Gebrauch machen können, das ihnen der Gesetzgeber in die Hand gegeben hat. Erst dadurch kann das Gesetz mit Leben gefüllt werden.
© Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin - ADNB